Anfang November darf ich beim Bitkom in Köln einen Impulsvortrag zum Thema: „Verschwindet der Arbeitsmarkt im Netz?“ halten. Zusammen mit Referenten, die vornehmlich aus der Personaler-Szene kommen, werden wir das Thema von unterschiedlichen Standpunkte aus betrachten.
Ich denke schon länger darüber nach, was ich dazu beitragen kann. Einerseits bin ich als (noch) Geschäftsführer (bis 31.10.2011) bei INFOnline kein Personaler, anderseits kümmere ich mich natürlich auch um Einstellungen und bin privat und beruflich im Netz aktiv.
Also mache ich das, was ich am besten kann: Ich erzähle von meinen Erfahrungen, die ich im Zusammenhang mit „Arbeitsmarkt & Internet“ in den letzten Jahren gemacht habe.
Die Geschäftsführerposition bei INFOnline ist mir 2004 über Xing angeboten worden. Meine zukünftige Position bei Globalpark habe ich ebenfalls über „mein Netzwerk“, das ich seit vielen Jahren off- und online pflege, bekommen. Daraus könnte ich schließen, dass bei Fach- und Führungskräften die Vermittlung von Jobs über Netzwerke erfolgt und funktioniert.
Bei INFOnline haben wir ebenfalls einige Kollegen über das Netz akquiriert oder sind auf interessante Profile aufmerksam gemacht worden (z.B. über eine Empfehlung aus einer Foto-Community).
Allerdings: Das ist nur die „transaktionale Sicht„. Hier werden Profile, Stellenanzeigen oder -gesuche einfach in das Netz „verlängert“ und verbreitern somit die traditionellen Wege, neue Mitarbeiter zu finden.
Spannend wird es dann, wenn man jenseits der transaktionalen Sicht auf das Netz schaut: Mittlerweile ist die Entwicklung des Internets zum „sozialen Netz“ nicht mehr aufzuhalten. Überall wird geredet und geschwatzt. Kein Artikel bleibt unkommentiert, kein Politiker kann sich seiner Doktorarbeit noch sicher sein, kein Hersteller kann Produktfehler verschleiern.
Dabei geht es nicht nur um die Platzhirsche wie Facebook, Google+, Twitter und all die anderen social networks, sondern auch um Bewertungen bei Amazon, Kommentare bei Holidaycheck, Empfehlungen bei Globetrotter oder die Arbeitgeberbewertung bei kununu. Jeder kann sich einbringen, bewerten, seine Meiung sagen. Vor allen Dingen kann er dieses sehr schnell einem großem Publikum mitteilen. Das ist der entscheidende Unterschied zu der guten alten Zeit: Geredet wurde schon immer, bloß die Zahl der Zuhörer kann im sozialen Netz dramatisch größer sein, als früher am Tresen, in der Schule oder im Sportverein.
Wie schon die klugen Vordenker 1999 im „cluetrain manifesto“ beschrieben: Das Netz wird eine „human to human communication“ ermöglichen. Menschen reden mit Menschen. Das bedeutet für mich, dass nicht nur in der Werbung und im Marketing ein Umdenken hin zu authentischer Kommunikation einsetzt, sondern ganz besonders auch im Personalwesen. Der kritische Konsument ist eben auch gleichzeitig potentieller Mitarbeiter und kann sich in dieser Rolle den gleichen Instrumenten bedienen, die er auch als Verbraucher nutzt, um Lob und Tadel im Web zu verbreiten.
Wenn wir tatsächlich einen „war for talents“ oder Fachkräftemangel haben und sich die gut qualifizierten Arbeitnehmer aussuchen können, wo sie arbeiten wollen, dann braucht es mehr, als Hochglanzbroschüren und blutarme „Firmen-Philosophien“, bei den der Mensch im Mittelpunkt steht, aber die Chefs ihre „Untergebenen“ regelmäßig anbrüllen und haarklein kontrollieren.
Die Beschallung der potentiellen Menschen mit Marketing-Hülsen wird einer ehrlichen und einfachen Kommunikation weichen müssen. Alles, was sich aus Sicht von neuen Mitarbeitern als nicht wahr oder sehr stark übertrieben herausstellt kann heute gnadenlos kommentiert werden und so weitere potentielle Bewerber abschrecken.
Somit hält hier ebenso der Transparenzgedanke Einzug, der schon KTG (guttenplag) zu Fall gebracht hat oder Dell zwischenzeitlich Umsatzrückgänge (Jeff Jarvis) verschafft hat und sogar bei Nestlé für schlechte Stimmung gesorgt hat (Anti-Kitekat-Kampagne). Blöd nur, dass die meisten Unternehmen überhaupt nicht darauf eingestellt sind und sich nicht oder nur unzureichend um diesen Paradigmenwechsel kümmern.
Wie könnte es gehen?
- Was wäre, wenn z.B. Azubis in einem Unternehmen einen eigenen Blog schreiben und über ihrer Erfahrungen im Unternehmen berichten?
- Was wäre, wenn Bewerber nicht mit der Personalabteilung, sondern direkt via Facebook, Xing oder Blogs mit ihren potentiell neuen Kollegen sprechen können?
- Was wäre, wenn das Image des Unternehmens nicht durch die Marketingabteilung, sondern durch bloggende und twitternde Mitarbeiter geschaffen wird?
- Was wäre, wenn die Chefs sich ihre Mails nicht mehr ausdrucken lassen, sondern ihrem Unternehmen ein Gesicht und ein Herz geben, indem sie selbst einen Blog oder eine Facebookseite schreiben?
„Geht nicht, kennen wir nicht, haben wir so noch nie gemacht und ausserdem verlieren wir die Kontrolle.“ – das sind die stereotypen Antworten auf solche Ideen. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber ich höre immer wieder: „Klingt interessant, geht bei uns aber nicht, weil ….“
Ich meine: Es muss gehen, wer nicht den Dialog auf Augenhöhe ehrlich sucht, wird zukünftig den Wettbewerb um gute Leute verlieren.
- Wer nicht anständig mit seinen Leuten umgeht, für den wird es immer schwerer, gute neue Mitarbeiter zu finden.
- Wer Transparenz und Mitarbeiterorientierung nur in Hochglanzbroschüren bewirbt, wird entlarvt und zukünftig durch Nichtbeachtung gestraft.
- Wer seine Organisation zukünftig nicht von Herrschaftswissen auf „Wissen-teilen“ umstellt, wird es schwer haben, gute Leute zu gewinnen.
Gerade der letzte Punkt liegt mir persönlich sehr am Herzen:
Wir haben bei INFOnline 2009 beschlossen, uns auf den Weg zu einem „Enterprise 2.0“ zu machen. Dabei geht es u.a. darum, dass geteiltes Wissen einen deutlich größeren Wert hat, als Expertenwissen, was nicht preisgegeben wird. Wir haben einen langen Prozess gestartet, der alle Mitarbeiter motivieren soll, sein Wissen in Blogs, Wikis mit anderen zu teilen und auch die Kommunikation mit externen Partner und Kunden einzubeziehen.
Sehr wichtig war die Entscheidung, interne Mails weitestgehend durch Blogs und Wikis zu ersetzen, die für jeden einfach über den Browser zu bedienen sind. Mittlerweile sind aus den E-Mail-Silos, in den das Wissen oft jahrelang liegt, ohne genutzt werden zu können viele verschiedene Informationsberge und -hügel geworden, die allen offen stehen und zunehmend als „Betriebssystem“ von INFOnline funktionieren.
Der nette Nebeneffekt: Deutlich weniger Mails, weniger Besprechungen und mehr Transparenz – so habe ich zum Beispiel alle Mitarbeiter immer sofort über neue Entwicklungen bei der Suche nach meinem Nachfolger über eine Wiki Seite informiert.
Und zu guter letzt: Wir können innerhalb der Organisation üben, lernen und Fehler machen. Der nächste Schritt muss es nun sein, INFOnline auch nach Aussen ein Gesicht zu geben und möglichst viele Mitarbeiter dazu zu animieren, ihre erlernten Fähigkeiten (bloggen, twittern) auch im Netz einzusetzen, um sich selbst und dem Unternehmen eine guten Reputation zu verschaffen.
Und nun?: Unternehmen müssen sich grundsätzlich verändern! Herrschaftswissen abzubauen bedeutet, Informationen hierarchiefrei zur Verfügung zu stellen, damit alle darüber nachdenken können. Mitarbeiter zu Botschaftern für das Unternehmen zu machen, bedeutet Kontrollverlust. Mitarbeiter zu Überzeugungstätern zu machen, bedeutet, sie fair und gut zu behandeln und sie zu fordern und zu fördern. Das wirkt sich dann auch auf Bewerber aus: Wenn potentielle Kollegen begeisterte Markenbotschafter in eigener Sache sind, hat man schon sehr viele gute Argumente auf seiner Seite!